Ausgerüstet mit Stichsäge und Aluminiumprofilen bewegt sich ein Handwerkstrupp durchs Treppenhaus der Stadtbücherei Prag. Es sind die Vorbereitungen für Krištof Kinteras Solo-Ausstellung, die in diesen Tagen für vermehrtes Material- und Personenaufkommen sorgen, am Altstädter Marienplatz Nummer eins. Zwischen den Stockwerken kommen die Blaumänner zum stehen. Die Plastiktüte eines Obdachlosen, der sich hier aufgewärmt hat, ist beim Abgang am Geländer aufgerissen. Deren Inhalt liegt nun über sämtliche Stufen verteilt. Vor sich hin murmelnd, liest der etwa 60-Jährige ein paar dreckige Kleidungsstücke auf, steckt sie zurück in die Tüte und verschwindet in die klirrende Kälte, hinaus auf die Straße.
Dorthin, wo auch prominentere Werke des 38-jährigen Krištof Kintera zuhause sind. Für seine zum Gedenkobjekt umfunktionierte Straßenlampe, mit dem Titel “Willensprobe – Memento Mori”, an der Nuslebrücke im Prager Folimanka Park, wurde Kintera nun mit dem Kunstpreis “Persönlichkeit des Jahres 2011” geehrt. Seit 10 Jahren wird der auf die Initiative des Egerer Stadtgaleriedirektors Marcel Fiser zurückgehende Preis vergeben. Dass die Installation die zehnköpfige, vom Magazin Art & Antique und dem Kunstportal artalk.cz ernannte Fachjury überzeugt hat, liegt vor allem an ihrer gesellschaftlichen Relevanz, thematisiert sie doch ein trauriges und weitgehend verdrängtes Kapitel des Prager Alltags. Schätzungen zufolge haben sich seit 1973, dem Jahr der Errichtung der Brücke im Prager Stadtteil Nusle, 200 bis 300 Menschen durch den Sprung in die Tiefe das Leben genommen.
“Es ist positiv, dass eine Realisation im öffentlichen Raum gewonnen hat. Kinteras Statue ist sehr interessant und wichtig, weil sie auf das Problem des Prager Monuments verweist”, so Jurymitglied Hana Rousová. Für welche künstlerischen Zwecke sich die üblicherweise rigide an Straßenverläufe angepasste Straßenbeleuchtung eignet, hat Kintera schon vor Jahren im holländischen Tiburg für sich entdeckt, wo er eine handelsübliche Straßenlampe zum Spotlight einer Heiligenstatue umbaute.
Ohne das Einverständnis der Behörden wären Kinteras Installationen jedoch nicht von großer Dauer. “Das war auch das größte Problem mit der Installation in Nusle”, so Kintera. “Ohne meine persönliche Bekanntschaft zu einer Person in der Stadtverwaltung hätte das nicht geklappt.” Die Grenzen des Erlaubten zu testen und die der Kunst zu erweitern, gehört fest zu Kinteras künstlerischem Selbstverständnis, was sich auch während der Vorbereitungen zu seiner Ausstellung in der Prager Stadtbücherei zeigt. Dankbar, aber unbeeindruckt von der Größe und Qualität des Ausstellungsraums, verlangt Kintera von der Galerieverwaltung einen hinter Rigipswänden verborgenen Korridor für Besucher zugänglich zu machen. Um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, hat er bereits mit dem Hammer ein Loch in die Wand geschlagen.
“Hier möchte ich einen Durchbruch machen, aber vor einigen Tagen war ein Sicherheitsbeauftragter von der Stadt da und hat Bedenken angemeldet. Der hat auch gefragt, ob ich ein Sicherheitszertifikat für meine Kunstwerke habe.” Kintera grinst für einen Moment, macht aber sofort deutlich, dass es ihm ernst ist. Ihn jetzt mit Sicherheitsbedenken zu konfrontieren sei absurd, weil die Galerie schon lange wüsste, dass er zum Beispiel ein unter 50 000 Volt Spannung stehendes Werk ausstellen werde. Ganz so kompromisslos wolle er sich jedoch nicht zeigen. “Wir werden eine Lösung finden, notfalls sperren wir einen Seitenraum ab, den Besucher dann zwar nicht betreten, aber anschauen können.” Ein Sicherheitszertifikat für Kunstwerke zu verlangen, klingt tatsächlich etwas restriktiv. Zugleich scheint Kintera jedoch gerade solche Bedenken und Einwände als Ansporn und Legitimierung für seine künstlerischen Sonderwege zu nutzen.
Kintera, der zur den erfolgreichsten Künstlern Tschechiens zählt und unter anderem an “Entropa”, David Černýs skandalösem Werk für die tschechische EU-Ratspräsidentschaft 2009, beteiligt war, betont seine Unabhängigkeit. “Wenn ich in der Ausstellung auf bestimmte Werke aus Sicherheitsgründen verzichten soll, dann werden wir meine Sachen hier wieder abtransportieren, dann war’s das. Ich brauche diese Ausstellung nicht.” Kintera zeigt auf eine aus Blei gefertigte Kabine, die während der Ausstellung das Zuhause seiner Filmfigur “Plumbuman” (zu deutsch Klempnermann) sein wird: “Was kann ich dafür, wenn jemand mit seiner Zunge überprüfen will, wie die Bleiverkleidung schmeckt? Das ist nicht mein Problem.”
Schon 1996 kommentierte Kintera das gängige Anfassverbot in Galerien und Museen mit seinem Werk “Do not touch”, drei in den Betonboden eingelassene Kreissägen, deren Sägeblätter bedrohlich und ohne jede Schutzvorrichtung rotierten. Für die Ausstellung in der Stadtbücherei hat er sich vorgenommen den Eingangsbereich umzubauen. “Normalerweise kommt man hier durch die Eingangstür und schluckt erstmal, weil die Stimmung so gedämpft ist, rechts der Bezahltresen, vorne das Wachpersonal. Um das zu ändern werden wir die Decke etwas abhängen und einen für Prag typischen, vietnamesischen Kaufladen nachbauen, durch den sich der Besucher ersteinmal durchzwängen muss.”
Fast wäre Kintera Berufsathlet geworden, Hürdenläufer. Das war ihm jedoch zu langweilig. Hürden zu suchen und dann zu überwinden, hat sich jedoch auch als Motiv für sein künstlerisches Schaffen bewährt. Für den Fall, dass der Sicherheitsbeauftragte ernst machen und tatsächlich Ausstellungsstücke verbieten will, hat er bereits vorgesorgt. Schmunzelnd deutet Kintera auf einen über vier Meter hohen, aus Straßenlampen gefertigten Kronleuchter: “Hier in dem Stahlrohr haben wir einen 100-Kronen-Schein deponiert. Nicht viel, aber die Geste zählt.”
Krištof Kintera – Ergebnisse der Analyse, 29.2. bis 13.5., Galerie der Hauptstadt Prag (Stadtbücherei, 2. Stock, Mariánské náměstí 1, Eingang Valentinská), geöffnet: täglich 10-18 Uhr, Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 60 CZK), www.ghmp.cz, www.kristofkintera.com
> find the fast-and-humpy-translated english version below:
In the obstacle course of arts // A Meeting with Krištof Kintera – Czech Republic’s art personality of the year 2011
Equipped with a jigsaw and aluminum profiles, a group of handcrafts moves through the stairway of the Prague Municipal Library. Where the preparations for Kristof Kinteras solo exhibition take place these days, providing increased material and passenger traffic, at the Old Town Maria Square number one. Between the floors the group of Blue Men stops. The plastic bag of a homeless man who has warmed himself here, torned open while passing the stair-rail. The content is now distributed across the stairs. Muttering to himself, the about 60-year-old collects his clothes, puts them back into the bag and disappears into the bitter cold, out to the streets.
To where also prominent works of the 38-year-old Kristof Kintera have their existence. For his to a memorial converted street lamp, with the title „Of One’s Own Volition – Memento Mori“, at the Nusle Bridge in Prague’s Folimanka Park, Kintera was now been honored with the Art Award „Personality of the Year 2011“. Going back to the initiative of Cheb’s Municipal Gallery Director Marcel Fiser the prize has been awarded for already 10 years. That the installation convinced the ten jury members, appointed by the magazine Art & Antique and the Art Portal artalk.cz, is also because of its social relevance, focussing on a sad and largely repressed chapter of Prague’s daily life. It is estimated that since 1973, the year of construction of the bridge in Prague Nusle, 200 to 300 people took their lifes by jumping to the depth.
„It is positive that a realization has won in the public domain. Kinteras statue is very interesting and important because it points to the problem of the Prague monument”, says jury member Hana Rousová. Kintera already proved the usually rigidly road course following streetlamp as a means for artistic purposes several years ago in the Dutch city of Tilburg, where he modified a street lamp into a Spotlight of a saint statue.
Without the consent of the authorities Kinteras installations were not of great duration. „That has also been the biggest problem with the installation in Nusle“ says Kintera. „Without my personal acquaintance with a person in the city government it would not have worked out.“ To test the limits of what is permissible and to expand the limitis of art, is part of Kinteras self-understanding, which can be recognized also during the preparations for his exhibition at the Prague Municipal Library. Thankfully, however, unimpressed by the size and quality of the exhibition space, Kintera requires the management of the gallery to make a hidden corridor behind plasterboard walls accessible for visitors. In order to emphasize his desire, he already made a hole in the wall.
Testing and expanding the limits of arts
„Here I would like to make a breakthrough, but a few days ago, a security officer was here, and raised concerns. He also asked if I have a safety certificate for my art works.“ Kintera smiles for a moment, but immediately makes sure that it’s serious. To confront him with safety concerns now is absurd, because the gallery knows for a long time that he would also issue a 50 000 volt art work. Nonetheless he shows openess towards a compromise: „We will find a solution, if necessary, we will block off a side room, then the visitor can not enter, but watch.“ To require a safety certificate for works of art, sounds, politely said, restrictive. At the same time Kintera uses such concerns and objections as an incentive and legitimacy for his specific artistic ways.
Kintera, who is one of the most successful artists in the Czech Republic and was also envolved in „Entropa,“ David Cerny’s scandalous art work for the Czech EU Presidency in 2009, emphasizes his independence. „If I should be forced to abandon certain works from the exhibition for security reasons, then we’ll move my stuff away form here, and that’s it. I don’t need this exhibition.“ Kintera points to a cabin made of lead, which will be the home of his character invention „Plumbuman“ during the exhibition. „What can I do if someone wants to check with his tongue, how the lead lining tastes? That’s not my problem.“
Back in 1996 Kintera commented gallery and museum conventions with his work „Do not touch“, three concrete embedded buzzsaws, which blades rotated threatening and without any protective device. For the exhibition at the public library, he wants to remodel the entrance area. „Usually you step in and directly have to swallow, because it’s so subdued – the payment counter on the right, the guards in front. To change this we will lower the ceiling and rebuild a Prague typical Vietnamese grocery store, through which the visitor will have to pass through.“
When he was young Kintera would have almost become a professional athlete. Thanks god he didn’t. To seek and overcome obstacles has nonetheless also become a motive for his artistic work. If the security officer unsheathes and wants to prohibit exhibition pieces, Kinteras team is prepared. Pointing to a four meters high chandelier made of street lamps Kintera says: „Here in the top of the steel tube, we have deposited a 100-Crown note. Not much, but a gesture that will be understood.”
Kristof Kintera – Results of the analysis, 29.2. to 13.5.2011, City Gallery Prague (City Library, 2nd floor, Marianske namesti 1, entrance via Valentinská), open: daily 10-18 o’clock, Admission: 120 CZK (reduced 60 CZK), www.ghmp.cz, www.kristofkintera.com